Wann ist eigentlich der richtige Zeitpunkt für eine Existenzgründung? Wohl so mit 30, könnte man beim Blick auf die Statistik meinen. Zumindest ist die Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren laut Statista mit 36,4 Prozent die mit Abstand stärkste, die im Jahr 2022 in Deutschland eine Unternehmensgründung wagte. Eine Aussage darüber, ob dieses Alter nun wirklich das beste ist, lässt sich aus der Zahl freilich nicht ableiten. Gegründet wird de facto von der Volljährigkeit bis in ein Alter hinein, in dem die meisten anderen schon längst in Rente sind.
Und so ist das, was Konditormeisterin Anika Klingbeil sagt, wohl die beste aller Antworten auf die eingangs gestellte Frage: „Fürs Gründen gibt es kein perfektes Alter und nie den richtigen Zeitpunkt. Es passt dann, wenn man bereit ist anzufangen.“ Sie selbst war es im vergangenen Oktober – mit gerade einmal 23 Jahren. Hilfe bei ihrer Gründung erhielt sie von der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald. Die Experten in der Mannheimer Kammer unterstützen vom Businessplan bis zur Finanzierung und begleiten auf Wunsch den umfassenden Prozess von der ersten Idee bis zur Umsetzung.
Pâtisserie CØR heißt das kleine Unternehmen, das Anika Klingbeil nun führt. Drei Mitarbeiter zählen nach der kurzen Zeit schon dazu. Die junge Frau hat ihre Passion gefunden. Eine Leidenschaft für das Schöne. Für Genuss. Für Exquisites in bester Qualität. Handgemacht natürlich. Weil ihre Leidenschaft auch dem Handwerk gilt. Vor ein paar Jahren noch hätte Anika Klingbeil selbst nicht gedacht, dass sie einmal in der Backstube stehen und dort ihren Traum leben würde. Konditorin zu werden, war nicht von Anfang an der Plan. Er kam unverhofft und entwickelte sich danach rasant. Denn eigentlich führte Anika Klingbeil, die in Mannheim-Neckarau ihr Abitur machte, der Weg zunächst nach Hamburg, um dort Biochemie zu studieren. Das Handwerk hatte sie nicht auf dem Schirm. „Es ging in der Berufsorientierung am Gymnasium in der Hauptsache um Studienmöglichkeiten“, sagt die Konditormeisterin. „Es wird in der Schule nicht klar, dass das Handwerk ein guter Arbeitgeber ist.“ Aus dieser Erfahrung heraus, hat sich auch ihr Engagement entwickelt, jungen Menschen die Attraktivität ihrer Berufswahl näherzubringen. Schon als Gesellin war sie bei Workshops an Hamburger Schulen aktiv. Und so schnell wie möglich, möchte sie nun – als Unternehmerin – auch selbst ausbilden.
Ein Nebenjob beim Studium öffnete neue Perspektiven
Anika Klingbeil selbst hat der Zufall geholfen, ihren Weg zu finden. „Ich habe immer schon gerne gebacken, aber nie mehr darin gesehen“, sagt sie. Hätte sie sich zum Studium nicht etwas hinzuverdienen wollen und wäre sie nicht ausgerechnet in einer entzückenden Hamburger Konditorei gelandet, würde sie heute wohl nicht da sein, wo sie steht. „Ich bin da buchstäblich reingerutscht“, beschreibt sie. Aus kleinen Aushilfstätigkeiten wurde die Gewissheit, dass da mehr ist. Mehr Talent. Mehr Spaß an der Arbeit. Mehr Optionen für die Zukunft. Und dann wurde dort, wo sie als Studentin eigentlich nur jobben wollte, ein Ausbildungsplatz frei. Der Schritt folgte prompt: Studium an den Nagel gehängt, Ausbildung zur Konditorin begonnen, verkürzt in nur eineinhalb Jahren abgeschlossen. Das war mit der Gesellenprüfung im Juni 2021. Es folgten Erfahrungsstationen in verschiedenen Manufakturen und der Meistertitel – mit der abschließenden Prüfung im Februar 2023 in Heidelberg.
Es ist ein Lebenslauf, der, in so jungen Jahren schon, begleitet von vielen Erfahrungen und Stationen war, der aber gleichsam so zielgerichtet ist, dass Anika Klingbeil mit 23 Jahren als Handwerksmeisterin ihr eigenes Unternehmen führt. „Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen“ sagt sie. Und damit meint sie vieles: Ideen und Konzepte für die eigene Geschäftsidee entwickeln genauso wie süße Kompositionen mit außergewöhnlichen Zutaten entwerfen und die Geschmackskreationen in der Backstube in schönsten Designs zum Leben erwecken – als echte Törtchenkunst. Da wird aus einer Schwarzwälder Kirschtorte eine entzückende Schokoladentartelette mit dunkler Kirschganache und fruchtigem Sauerkirschcoulis unter einer spiegelglatten Schokoglasur. Fluffige Hügelchen mit intensivem Zitronengeschmack schmiegen sich an einen kernigen Haselnussboden, garniert mit einem Ring aus zartschmelzender weißer Schokolade. Und während sich luftig-leichtes Himbeermousse in ein köstliches Mandeltörtchenbett legt und mit einer Schicht aus leuchtend-rotem Himbeerpüree zudeckt, zieht feinstes Pistazienmus obenauf in dezentem Grün aromatische Genussschleifen. Sie heißen Forêt Noire, Tarte au Citron und Framboise und sind drei von sechs Leckereien im Stile der französischen Pâtisserie, die Anika Klingbeil auf der Menükarte ihres Pop-up-Cafés in der Lameystraße 17 in Mannheim anbietet.
Wirtschaftlich sinnvoll auf drei Säulen aufgebaut
Die einzigartige Pop-up-Pâtisserie in der Mannheimer Oststadt ist aber nur eine Säule in Anika Klingbeils Unternehmenskonzept. Es gibt drei weitere. Da ist zum einen die Auftragskonditorei, die sie für Feiern vom Geburtstag über Firmenfeste bis hin zu Hochzeiten anbietet. Zum anderen das Catering, das – sobald eine größere Backstube gefunden ist – aus dem Foodtruck heraus erfolgen soll. Und zum Dritten das Angebot von Kursen und Workshops. „Es war mir immer wichtig, nicht nur auf einem Bein zu stehen“, sagt die Jungunternehmerin. „Nicht nur deshalb, weil ich jeden einzelnen Part unglaublich gerne mache, sondern weil es wirtschaftlich sinnvoll ist.“ Hört sich durchdacht an. Und ist es auch. Dafür hat die Konditormeisterin nicht nur auf sich selbst, ihre Leidenschaft und Leistungsfähigkeit vertraut, sondern Unterstützung genutzt, die sich auf ihrem Weg anbot. Schon in Hamburg stand ihr ein Jahr lang eine Mentorin aus einem Frauennetzwerk von Unternehmerinnen zur Seite, während einer Zeit, als Anika Klingbeil erst nur wusste, dass sie „etwas als Selbständige machen“ wollte, jedoch noch nicht genau was. „Meine Mentorin hat viel an meiner Idee geformt“, erklärt die 23-Jährige. Hilfe kam auch von der Existenzgründungsberatung der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald. Und irgendwie durch jedes Gespräch und jede Begegnung, die sich auf dem Weg zur Gründung ergaben. „Ich lerne unentwegt dazu“, sagt Anika Klingbeil. „Immer wieder entdecke ich Stellen, an denen ich noch schrauben möchte.“
Was aber unverrückbar bleibt, ist die Überzeugung, mit der Existenzgründung den richtigen Schritt gegangen zu sein. Die junge Frau schätzt es, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. „Dienst nach Vorschrift zu machen, hat mich noch nie glücklich gemacht“, sagt sie. Die Selbstständigkeit im Handwerk bietet ihr all das, was sie für ihr persönliches Glück braucht. „Das Konditor-Handwerk ist eine Form von Kunst, es ist ästhetisch, es fasziniert und fordert, sich Gedanken zu machen, wie sich bestimmte Formen oder Motive umsetzen lassen und welche Geschmackskombinationen zusammenpassen“, schwärmt sie. In so jungen Jahren das Risiko einer Selbstständigkeit zu schultern, sieht sie nicht als Belastung. „Natürlich mache ich mir Gedanken, ob alles klappt, aber die verfliegen immer dann wieder, wenn ich sehe, was alles möglich ist und wie zufrieden ich und meine Mitarbeiter sind“, sagt sie. „Der Gewinn ist größer als das Risiko.“ Wann also der richtige Zeitpunkt für eine Existenzgründung ist? Wann immer man bereit dazu ist. Anika Klingbeil jedenfalls ist es.
Bild: Anika Klingbeil weiß genau, was sie will: Selbstständig im Handwerk sein und ihre Ideen entwickeln. Mit gerade einmal 23 Jahren ist die Konditormeisterin Gründerin und davon überzeugt, dass im Handwerk viel möglich ist. Foto: Handwerkskammer